Seit 7 Jahren leistet das Fanprojekt in Trägerschaft der Outlaw gGmbH erfolgreich Fansozialarbeit am Standort Leipzig. Voraussetzung hierfür war und ist die professionelle Arbeit im Netzwerk nach den Standards des „Nationalen Konzeptes Sport und Sicherheit“, (NKSS), des SGB VIII sowie der jahrelange Auf- und Ausbau belastbarer Vertrauensverhältnisse zu den Fans – in einer Stadt, die angesichts dreier sehr unterschiedlicher Clubs und Fanszenen gemeinhin als nicht einfach gilt.
Dass Fansozialarbeit an diesem Standort tatsächlich nicht immer einfach ist, lag in letzter Zeit jedoch vor allem an zwei §129-Verfahren („Bildung krimineller Vereinigungen“), die sich beide vornehmlich gegen Fans der BSG Chemie Leipzig richteten – Fans, mit denen das Fanprojekt im Zuge seines sozialpädagogischen Arbeitsauftrags zusammenarbeitet. Das erste Verfahren wurde nach drei Jahren Ermittlungsaufwand im Herbst 2016 ergebnislos eingestellt. Neben Angehörigen der Ultraszene der BSG Chemie Leipzig wurde damals auch ein Mitarbeiter unseres Fanprojekt-Teams beschuldigt, Mitglied einer kriminellen Vereinigung zu sein, deren einziger Zweck darin bestünde, Straftaten zu begehen. Weitere Kolleg*innen waren als Dritte von Überwachungsmaßnahmen betroffen. (Weiterführender Link: https://www.fanprojekt-leipzig.de/presse/artikel/spannungsfeld-fanarbeit-outlaw-ggmbh-und-koordinierungsstelle-fanprojekte-beziehen-stellung.html) Nun wurde im Juni diesen Jahres das zweite §129-Verfahren ebenfalls ergebnislos eingestellt. (Weiterführender Link: https://www.129freunde.de/) Dieses Mal gerieten ausschließlich Ultras der BSG Chemie Leipzig als Beschuldigte sowie mehrere hundert Drittbetroffene in den Fokus der Sicherheitsbehörden – unter diesen wieder einer unserer Kollegen, dessen dienstliche Telefonate mit einigen der Beschuldigten abgehört wurden.
Wenn auch im Unterschied zum ersten Verfahren unser Kollege dieses Mal glücklicherweise nicht zum Kreis der Beschuldigten gezählt wurde, erschweren die Dimension und die Art und Weise dieser Ermittlungen dennoch auf mehreren Ebenen unsere alltägliche Fansozialarbeit am Standort.
Auswirkungen haben solche Maßnahmen zu aller erst auf unseren grundsätzlichen pädagogischen Auftrag, etwa im Hinblick auf den Abbau von Feindbildern in den Fanszenen und die Vermittlung zwischen Fans und den am Fußball beteiligten Institutionen. Die bereits vorhandene Skepsis von Fußballfans gegenüber staatlichen Institutionen und den Sicherheitsbehörden dürfte jedenfalls aufgrund der erneuten Drastik der Vorwürfe und dem nur schwer nachvollziehbaren Ausmaß der Ermittlungen nicht abgenommen haben. Verhärtete Standpunkte wieder aufzuweichen wird dadurch sicherlich nicht einfacher. Aber auch eingeleitete Prozesse zur Stärkung individueller Verhaltenssicherheit unter jungen Fußballfans, ein weiterer wichtiger Bestandteil des pädagogischen Auftrags von Fansozialarbeit, werden angesichts der Tragweite solcher Ermittlungen untergraben. Gerade wenn junge Menschen befürchten müssen, nur aufgrund ihres Fandaseins Bestandteil von umfassenden Ermittlungen zu werden, führt das natürlich auch zu individueller Verunsicherung bei den Betroffenen.
Abgesehen von dieser allgemeinen Ebene wirken sich aber gerade auch die konkreten Überwachungsmaßnahmen gegen Fanprojekt-Mitarbeiter*innen im Zuge solcher Ermittlungen negativ auf unsere Arbeit aus – insbesondere auf das Vertrauensverhältnis zwischen Fanprojekt-Mitarbeiter*innen und Klient*innen. Dieses vertrauensvolle Verhältnis ist Grundlage der Fansozialarbeit und unabdingbar für die pädagogische Intervention und Prävention; es ist Basis dafür, die Reflexion persönlichen Fehlverhaltens und positive Verhaltensänderungen bei Klient*innen anzustoßen. Dies wird perspektivisch verunmöglicht, wenn Fanprojekt-Mitarbeiter*innen abgehört und so etwa vertrauensvolle Gespräche mit Klient*innen durch Sicherheitsbehörden aufgezeichnet werden.
Zumal solche Überwachungsmaßnahmen gegen einzelne Fanprojekt-Mitarbeiter*innen natürlich immer auch eine sehr sensible und persönliche Ebene bei den betroffenen Kolleg*innen berührt, denn ob es zu konkreten Beschuldigungen oder zu Überwachungsmaßnahmen gegen Fanprojekt-Mitarbeiter*innen kommt – sie führen auch bei uns zu einer Verunsicherung, welche selbstverständlich das berufliche Agieren erschwert. Denn wie soll am Standort professionell gearbeitet werden, wenn sich Fanprojektmitarbeiter*innen nur wegen der Ausübung ihres Jobs Überwachungsmaßnahmen ausgesetzt sehen oder gar als Beschuldigte gelten können?
Gleichwohl sind unser Erfahrungen in Leipzig Teil einer umfassenderen Herausforderung, die für das Berufsfeld der Sozialen Arbeit nicht neu ist: Vorladungen zu Zeugenaussagen oder das anderweitige Abfassen von Informationen durch Behörden im Kontext der Strafverfolgung sind Erfahrungen, mit denen Streetworker*innen auch in anderen Arbeitsbereichen und an anderen Fanprojekt-Standorten konfrontiert werden. Soziale Arbeit, allen voran der Teilbereich Streetwork, steht somit immer vor der Notwendigkeit, den eigenen fachlichen Ansatz gegenüber den Sicherheitsbehörden zu erklären und zu schützen.
Voraussetzung für den Schutz des Berufsfeldes ist ein grundlegendes Verständnis von der Arbeitsweise und den fachlichen Standards Sozialer Arbeit. Dies den beteiligten Institutionen und Netzwerkpartnern zu vermitteln ist weiterhin sinnvoll. Transparent zu machen, wie sich solche einschneidenden Ermittlungen auf Fußballfans und damit auch auf die alltägliche Arbeit der Fanprojekte auswirken, kann dabei aber nur ein Schritt sein. Gerade unsere Erfahrungen in Leipzig zeigen, wie wichtig vor allem der konkrete gesetzliche Schutz unserer Arbeit ist. Deswegen halten auch wir die Reform des § 53 StPO einschließlich eines erweiterten Zeugnisverweigerungsrechtes für die Fanprojekte (Weiterführender Link: https://www.kos-fanprojekte.de/index.php?id=298), aber auch für andere sensible Felder der Sozialen Arbeit, die im Umgang mit den Klient*innen des umfassenden Geheimnisschutzes bedürfen, für notwendig. Nur so können wir unsere Arbeit weiterhin so professionell und angemessen gestalten, wie wir dies bislang getan haben.