Das Fanprojekt auf Bildungsreise in Oswiecim und Krakau
Historisch-politische Bildungsarbeit mit Jugendlichen, die die Zeit des Nationalsozialismus und die Shoah thematisieren, steht 73 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus und dem Ende des Zweiten Weltkriegs vor ganz neuen Herausforderungen. MultiplikatorInnen historisch-politischer Bildung – Fanprojekte gehören hier dazu – müssen sich veränderten didaktischen Anforderungen stellen, damit Geschichte den Bezug zu aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen nicht verliert und mit dem Wissen über die deutsche Geschichte eine politischen Kultur mit „Kraft zur Selbstbestimmung, zum Nicht-Mitmachen“ gefördert werden kann.
Auch vor diesem Hintergrund fand Ende Oktober eine Gedenkstättenfahrt vom Leipziger Fanprojekt nach Polen statt. Bei der Fahrt nach O?wi?cim und Krakau stand die Erinnerung an die Vernichtung der Europäischen Juden sowie die gedächtnispolitische Diskussion vor Ort im Zentrum der Auseinandersetzung. Gemeinsam mit einer Gruppe von acht Jugendlichen und jungen Erwachsenen – allesamt Fans von Chemie Leipzig – beschäftigen wir uns eine Woche lang mit Erinnerungskultur, ZeitzeugInnenschaft und Minderheitenpolitik, machen Station in verschiedenen Gedächtnisorten, trafen Überlebende und traten mit polnischen Akteuren in Austausch.
Die Reise startete mit einem Besuch der Internationalen Jugendbildungsstätte/IJBS in O?wi?cim und dem Problem der immer schwieriger werdenden ZeugInnenschaft. Die Generation der ZeitzeugInnen, die über den Alltag im NS, über Holocaust und Widerstand, über Krieg und Verbrechen Auskunft geben kann und will, verschwindet. Der medialen Vermittlung von Geschichte kommt daher durch die „sekundäre Zeitzeugenschaft“ immer mehr Bedeutung zu. Wie dringend diese Aufgabe ist, zeigen mehrere Untersuchungen des historischen Wissens von Jugendlichen über die NS-Zeit. Zusammen mit den Bildungsreferenten des Hauses besichtigten wir unter anderem das „Jüdische Zentrum“, eine Kombination aus Museum und Synagoge, und informierten uns über die ausgelöschte jüdische Geschichte der Stadt O?wi?cim. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung waren in der 30er Jahren Jüdinnen und Juden.
Am nächsten Tag besuchten wir nach einer Einführung in der IJBS die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz I, in der sich das Stammlager befand. Eine beeindruckende Führung durch die einzelnen Lagerkomplexe machte allen TeilnehmerInnen schnell klar, warum Auschwitz und sein Name für die ganze Welt zum Symbol für Terror und Völkermord geworden ist. Die Singularität wurde am darauffolgende Tag noch schmerzlicher bewusst, erlebten wir im Rahmen der Führung in Birkenau (Auschwitz II) noch ein wenig intensiver und individueller den industriellen Wahnsinn der Ermordung der europäischen Juden. Der Lagerkomplex in Birkenau umfasste mehrere voneinander abgetrennte Bereiche, darunter ein spezielles Frauenlager sowie ein „Zigeunerlager“. Die Rampen von Auschwitz-Birkenau stehen wie kein anderer Ort für das größte Menschheitsverbrechen der Welt.
Im zweiten Teil der Reise besuchten wir Krakau. Der Schwerpunkt dieses Parts lag auf der Erzählung der Widerstandsgeschichte im Krakauer Ghetto. Das Ghetto, das in den Jahren 1941-1943 im Stadtteil Podgórze bestand, war eine blutige Etappe auf dem Weg der Vernichtung der Krakauer Juden. Trotzdem formierte sich Widerstand und eine organisierte Fluchthilfe, der sich u.a. in dem kleinen, aber sehr feinen Museum „Apotheke zum Adler“ sehr gut nachvollziehen lässt. Einer umfangreichen Führung an den Grenzverläufen des ehemaligen Ghettos folgte ein sehr besonderer Punkt des Krakau-Besuchs: ein Zeitzeugen-Gespräch mit der Ghetto-Überlebenden Rena Rach. Im Galizischen Museumin Krakau erzählte uns Frau Rach ihre Geschichte. Im Alter von drei Jahren gelang ihr zusammen mit ihrer Mutter die Flucht aus dem Ghetto und somit vor dem sicheren Tod. Vor allem die traumatischen Auswirkungen von Überleben, Flucht und Aufarbeitung aus der Zeit im Ghetto beeindruckten alle TeilnehmerInnen sehr. Das Gespräch endete mit dem Appell von Rena Rach, wachsam zu sein, damit sich so etwas wie die Shoah nie wiederholt. Im Stadtteil Kazimierz erlebten wir am letzten Tag, wie sich das jüdische Krakau wieder neu im pulsierenden Leben der Stadt als „Normalität“ etablieren konnte. Mit der individuellen Erkundung des Stadtteils endete eine ziemlich beeindruckende, teilweise bedrückende Gedenkstättenfahrt…
Wir danken dem Referat für Internationale Zusammenarbeitder Stadt Leipzig sowie dem Solifonds derLinkenim Sächsischen Landtag für die Unterstützung der Gedenkstättenfahrt!