Pressemitteilung Zeugnisverweigerungsrecht

Die Fansozialarbeit schaut in den letzten Monaten immer wieder nach Karlsruhe, wo Kolleginnen und Kollegen, in einer beispiellosen Art und Weise von der Justitz unter Druck gesetzt werden. Um die Soziale Arbeit mit Fußballfans weiter zu professionallisieren ist es unabdingbar über die Etablierung eines Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern zu sprechen.

Deshalb teilen wir hier, die Pressemittelung des „Bündnis für ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit“, welcher wir uns vollumfänglich anschließen!

Staatsanwaltschaft Karlsruhe lässt Verfahren nicht ruhen: Strafvereitelung gegen Fanprojekt-Mitarbeiter*innen steht im Raum – Zeugnisverweigerungsrecht für die Soziale Arbeit nötiger denn je!

01.11.2023

Es dürfte ein trauriges Novum in der Bundesrepublik Deutschland sein: Im aktuellen Rechtsstreit zwischen der Staatsanwaltschaft Karlsruhe und dem dortigen Fanprojekt hat die Staatsanwaltschaft zwar nun doch keine Beugehaft gegen die Fanprojektler*innen beantragt, setzt die Kolleg*innen jedoch weiterhin unter Druck. Es wird geprüft, ob ein Verfahren wegen des Verdachts der Strafvereitelung eröffnet wird. Weil sie das besondere Vertrauensverhältnis zu ihrer Zielgruppe, wohl dem zentralen Grundpfeiler der Sozialen Arbeit, nicht auf das Spiel setzen können und wollen, sind hauptamtliche Mitarbeitende aus diesem Bereich weiterhin mit rechtlichen Konsequenzen bedroht. Und das nur, weil sie kein Zeugnisverweigerungsrecht besitzen.

„Es ist absurd, dass die Staatsanwaltschaft hier keine Ruhe geben will“, erklärt Matthias Stein, Sprecher des Bündnisses für ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit (BfZ). „Nicht nur, weil Kolleg*innen persönlich betroffen sind. Sondern auch, weil hier offenkundig ein Exempel statuiert werden soll, dass die grundsätzlichen Errungenschaften der Sozialen Arbeit bundesweit massiv gefährden und zurückwerfen kann.“

Im Zuge ihrer Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft Mitarbeitende des Fanprojekts als Zeug*innen vorgeladen. Diese standen somit vor einem unsagbaren Dilemma: Einblicke aus der Aufarbeitung, die ihnen unter dem Gesichtspunkt absoluter Vertraulichkeit im Rahmen ihrer Arbeit gewährt wurden, an Ermittlungsbehörden weiterzugeben, was vergleichbare Formate für die Zukunft wohl unmöglich gemacht hätte, oder zu schweigen. Als professionelle Mitarbeiter*innen der Sozialen Arbeit entschieden sie sich für Letzteres, um das Vertrauen, das ihnen ihre junge Zielgruppe entgegengebracht hatte, nicht zu gefährden. „Soziale Arbeit benötigt ein besonderes Vertrauensverhältnis, um ihren Auftrag erfüllen zu können“, unterstreicht Georg Grohmann, ebenfalls Sprecher des BfZ.

Ordnungsgelder waren zunächst die Folge, die Beugehaft stand sehr konkret im Raum. Hierauf verzichtete die Staatsanwaltschaft nun, prüft jedoch die Möglichkeit einer Anzeige wegen Strafvereitelung gegen die Mitarbeiter*innen: „Die Politik muss jetzt handeln! Der aktuelle Fall zeigt leider auf eine inzwischen dramatische Art und Weise, wie essenziell ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit ist. Das unterstreichen auch unsere verschiedenen Netzwerkpartner*innen und die Wissenschaft seit langem.“, so Georg Grohmann. „Wir Hauptamtlichen in der Sozialen Arbeit brauchen eine Möglichkeit, uns und die Professionalität unserer Arbeit zu schützen. Selbstverständlich fordern wir die Staatsanwaltschaft Karlsruhe auch auf, alles dafür zu tun, dass sich die Mitarbeitenden des Fanprojekts endlich wieder auf ihre Arbeit mit ihrer Zielgruppe konzentrieren können. Ein solcher Fall darf sich unter keinen Umständen wiederholen“, macht Matthias Stein abschließend deutlich.

Kontakt zu den Sprechern des BfZ:

Matthias Stein                                                                    Georg Grohmann
ms@fanprojekt-jena.de                                                   grohmann@bag-streetwork.de
0173-3970701                                                                    0157-71418265
www.zeugnis-verweigern.de

Sportbuzzer-Interview zum Lernort Stadion

Mit freundlicher Genehmigung durch Britt Schlehahn und LVZ-Sportbuzzer

Dresden, Rostock und Berlin haben vorgelegt. Künftig soll auch in Leipziger Fußballstadien gelernt werden, allerdings nicht in Sachen Ballbehandlung und Co. Das hiesige Fanprojekt betreut die Aktion „Lernort Stadion“. Wir haben uns mit Leiter Christian Kohn unterhalten.

Leipzig. Der Fußball abseits der ersten beiden Bundesligen ruht. Zuschauer müssen ohnehin draußen bleiben. Dass ein Stadionbesuch mehr sein kann, als 22 Spielern beim Kicken zuzuschauen, zeigt das Bildungsprojekt „Lernort Stadion“. Gefördert von der DFL-Stiftung und unter der Schirmherrschaft von Oliver Welke lautet das Motto „Wir bringen politische Bildung ins Fußballstadion“. Mit anderen Worten: ein Bewusstsein schaffen gegenüber demokratischen Prozessen und Diskriminierung. In Ostdeutschland gibt es bereits entsprechende Projekte in Dresden, Rostock und Berlin. In Leipzig laufen die Vorbereitungen. Was sich dahinter verbirgt, erklärt Christian Kohn, der Leiter des Leipziger Fanprojekts dem SPORTBUZZER.

Was bedeutet „Lernort Stadion“?

Christian Kohn: Ganz grundsätzlich beschreibt „Lernort Stadion“ erst einmal ein Angebot der außerschulischen, politischen Bildungsarbeit. Die Idee hinter diesem Angebot ist es, Bildung an einem ganz besonderen und nicht gerade alltäglichen Ort stattfinden zu lassen, nämlich im Fußballstadion. Es geht darum, Jugendlichen an einem Ort jenseits der Schule einen Rahmen dafür zu bieten, andere Perspektiven kennenzulernen, und zwar im doppelten Sinne: Zum einen, mal raus aus ihrem gewohnten Alltag zu kommen, zum anderen gerade durch die Faszination, die so ein Stadion und der Fußball generell ausüben eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und politischen Themen anzustoßen. Das ist das, was grob zusammengefasst das Label „Lernort Stadion“ bedeutet, was mittlerweile bundesweit an 20 Lernzentren läuft, von der DFL Stiftung gefördert wird und mit „Lernort Stadion e. V.“ auch einen eigenen Dachverband hat.

An wen richtet sich das Projekt?

In Leipzig wollen wir schwerpunktmäßig mit Schulklassen der Ober-, Förder- und Berufsschulen zusammenarbeiten. Dabei geht es uns vor allem um diejenigen Schülerinnen und Schüler, die eher negative Erfahrungen im Lernkontext gemacht haben oder sich von klassischen Konzepten der politischen Bildung nicht wirklich angesprochen fühlen. Die möchten wir gerne in Workshops mit unterschiedlichen gesellschaftlichen oder politischen Themen in Berührung bringen – und zwar so, dass sie Spaß daran haben, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Der Fußball kann dafür einen guten Zugang ermöglichen, auch wenn er gar nicht unbedingt eine zentrale Rolle spielt, sondern das jeweilige Thema und die Auseinandersetzung damit.

Welche Angebote wird es geben?

Zum Beispiel möchten wir gerne einen Workshop zu sozialen Medien veranstalten. Sie spielen ja in der Lebenswelt der Jugendlichen eine ziemlich wichtige Rolle, sind aber oftmals auch Kanäle für die Verbreitung von Gerüchten und Vorurteilen. Da lässt sich natürlich sehr gut an den Profifußball, mit all seiner schnelllebigen Medienpräsenz und seinen Transfergerüchten, anknüpfen, um mal zu schauen, wie ein verantwortungsvoller Umgang mit sozialen Medien eigentlich aussehen kann.

Oder der geplante Workshop, in dem die Schülerinnen und Schüler sich anhand der Leipziger Fußballgeschichte, in der ja gerade das ehemalige Zentralstadion eine wahnsinnig interessante Rolle spielt, mit der Entwicklung ihrer Stadt auseinandersetzen. Da wollen wir gerne gemeinsam mit den Jugendlichen kleine Geschichten rund um den Leipziger Fußball aufarbeiten, um so die verschiedenen Epochen und Gesellschaftssysteme, die ja auch Auswirkungen auf den Leipziger Fußball hatten, näher zu beleuchten. So ein ganz konkreter Zugang macht Geschichte natürlich ganz anders erfahr- und lernbar, als dies in der Schule der Fall ist.

Auf welchen Zeitraum ist das Projekt angelegt?

Bildungsarbeit muss natürlich immer langfristig angelegt sein, um tatsächlich nachhaltig zu sein. Deswegen wollen wir unser Lernzentrum gerne so aufstellen, dass sich unser Angebot auch langfristig etablieren kann. Aus diesem Grund befinden wir uns in kontinuierlichen Gesprächen mit verschiedenen Institutionen, Sponsoren und Fördermittelgebern, um dem Projekt möglichst stabile Rahmenbedingungen zu geben.

Was erhofft sich das Fanprojekt mit diesem Bildungsangebot?

Aus unserer Alltagsarbeit mit Fußballfans wissen wir, wie viel positives Potenzial in jungen Menschen schlummert, gerade dann, wenn man ihnen einen vielleicht etwas unkonventionellen Rahmen bietet, in dem sie kreativ sein und sich ausprobieren können. Mit unserem Angebot erhoffen wir uns, Jugendliche, auch diejenigen, die sich vielleicht gar nicht so sehr für Fußball interessieren, darin zu bestärken, sich mit gesellschaftlichen Themen auseinanderzusetzen, über die sie sich vielleicht noch gar keine großen Gedanken gemacht haben, obwohl sie eine große Rolle in ihrer Lebenswelt und gesellschaftlich spielen. Sie sollen in den Workshops erleben, dass ihre Meinung gefragt ist und dass es sich lohnt, sich gemeinsam mit anderen Gedanken über die Welt und ihre Rolle in dieser Welt zu machen.

Wie sah und sieht die Unterstützung der Leipziger Vereine für das Bildungsprojekt aus?

Zunächst muss man sagen, dass die Finanzierung durch die DFL Stiftung nur für Standorte und Stadien der ersten und zweiten Liga greift. Das heißt, dass die Workshops im Rahmen des Leipziger Lernorts in der Red Bull Arena stattfinden werden.

Dementsprechend sind wir von Anfang an in engem Austausch mit RB Leipzig, vor allem was die Nutzung diverser Stadionareale und Räumlichkeiten für die Workshops angeht. Aber klar, wir als Fanprojekt sind verantwortlich für den Inhalt und die Umsetzung des Lernortes. Und da wir ja die besondere Konstellation haben, als Fanprojekt für alle drei großen Leipziger Vereine (RB, BSG Chemie und Lok Leipzig) zuständig zu sein, ist es uns wichtig diesen Umstand auch im Lernzentrum abzubilden. Deswegen haben wir auch mit Lok und Chemie gesprochen, die uns ebenfalls Unterstützung in Aussicht gestellt haben, etwa im Rahmen des bereits angesprochenen Workshops zur Leipziger Fußballgeschichte, wo wir auf die jeweiligen Vereinsarchive oder die Vermittlung von „Zeitzeugen“ angewiesen sind.

Wie beeinflusst die Corona-Pandemie das Projekt?

Auch auf unser Projekt hat die Pandemie natürlich Auswirkungen. Zunächst mal ganz konkrete: Wir wollten eigentlich gerne im neuen Schuljahr mit dem Projekt starten, die weitere konzeptionelle Arbeit sollte ab Mai weiter angeschoben werden. Im März haben wir deswegen eine Stelle ausgeschrieben – die Bewerbungsgespräche mussten wir jetzt verschieben und der tatsächliche Projektstart verzögert sich natürlich auch.

Andererseits wird gerade viel darüber gesprochen, dass unsere Gesellschaft nach der Pandemie nicht mehr die gleiche sein wird, viele Selbstverständlichkeiten werden ziemlich durcheinander gewirbelt. Das hat natürlich Auswirkungen auf den Lebensalltag junger Menschen. Vielleicht kann so ein Lernort, wie wir ihn planen, seinen Teil dazu beitragen, hierzu eine Auseinandersetzung anzustoßen.

Sportbuzzer-Interview mit Sebastian Kirschner

Mit freundlicher Genehmigung durch Britt Schlehahn und LVZ-Sportbuzzer

Sebastian Kirschner ist beim Fanprojekt Leipzig seit 2013 für die BSG Chemie zuständig. Im Gespräch mit dem SPORTBUZZER erzählt er über seine Aufgaben im Ligaalltag, die manchmal schwierige „Übersetzerfunktion“, seine Arbeit in Zeiten der Corona-Pandemie und das „Raumschiff Fußball“.

Was macht das Fanprojekt Leipzig eigentlich?

Sebastian Kirschner: Fanprojekte sind nicht, wie viele immer denken, bei den Vereinen angesiedelt sondern unabhängige, mit öffentlichen Mitteln finanzierte Institutionen der Jugendhilfe. Im ganzen Land gibt es mehr als sechzig, in Leipzig „kümmert“ sich das Fanprojekt, das unter der Trägerschaft von Outlaw (Outlaw gemeinnützige Gesellschaft für Kinder- und Jugendhilfe mbH, d. Red.) steht auf ganz unterschiedliche Art und Weise, um die Fanpotentiale der drei großen Vereine RB, Chemie und Lok.

Jeder Verein hat sozialpädagogische Mitarbeiter, die nur für die jeweilige Klientel da sind. Unsere Zielgruppe sind daher vor allem Kinder und Jugendliche. Und um es noch präziser zu machen, in erster Linie junge Leute, die sich der Jugend- und Subkultur der „Ultras“ zuzählen. Ultras kommen ursprünglich aus Italien und sind derzeit eine der größten und vitalsten Jugendkulturen der Welt.

Seit 2013 bin ich für die Chemiefans also „da“ und habe den Weg des Vereins und seine Anhängerschaft von der Bezirksliga bis in die 4. Liga miterlebt. Unser Arbeitsalltag ist extrem vielfältig und dreht sich vor allem darum, jungen Fans, trotz aller Schwierig und -widrigkeiten eine positive Lebensorientierung mitzugeben. Natürlich thematisieren wir auch problematische Entwicklungen in der Fankultur, viel wichtiger und entscheidender sind aber die Momente von Selbst- und Mitbestimmung, gesellschaftlicher Verantwortung und kreativer Mitgestaltung: alles Dinge, die das Verhältnis von Sozialer Arbeit und Fußballfans ganz zentral ausmachen.

Ein gegenseitiges belastbares Vertrauensverhältnis, die Freiwilligkeit der Interaktion und eine gewisse Intensität der „Zusammenarbeit“ sind dabei ebenso wichtig, wie ein Verständnis von „Jugend“ auf der Höhe der Zeit. Die Schwierigkeiten, die der Lebensabschnitt Jugend mit sich bringt, bearbeiten wir in Einzelfallhilfen und Beratungsangeboten. Tiefgreifende aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen spiegeln sich natürlich auch in der Fankultur wieder – oftmals sogar viel deutlicher: Fanprojekte unterstützen hier das eh schon große Potential an politischem „Teilhabenwollen“, sie forcieren historische Bildungsarbeit oder flankieren Entwicklungen, die zu Geschlechter- oder Chancengleichheit führen sollen.

Was war bisher Ihr schönstes und schlimmstes Erlebnis bei der BSG?

Schönste Momente sind meistens fußball-immanente Überraschungen: Siege, die man nicht erwartet hätte, besondere Tore, die Glücksgefühle auslösen und natürlich hochemotionale Aufstiege und Pokalspiele. Als Sozialarbeiter ist man da ganz schön nah an der Gefühlswelt der Fans dran. Und trotz professionellem Verhältnis überkommt einen dann doch mal der irrationale Fußballwahnsinn. Ein Gefühl, das ich vorher so nicht kannte. Schlimm ist eigentlich nichts. Man lernt, sich – zumindest in manchen Situationen – ein dickes Fell zuzulegen. Das braucht man auch und ist Bestandteil des Alltags.

Wie ist das Verhältnis zum Verein?

Sehr gut. Das basisdemokratische Verständnis in den Vereinsstrukturen – der Verein wurde ja von seinen Fans mit jeder Menge Herzblut wieder gegründet – spiegelt sich natürlich auch in der Zusammenarbeit wieder. Viele kurze Wege mit dem Fan- und Sicherheitsbeauftragten der BSG, intensive Kommunikation, ein großes Verständnis und eine fundierte Kenntnis über das „Denken und Fühlen“ von Fans: all das kennzeichnet unser Arbeitsverhältnis. Und selbst wenn es mal zu divergierenden Positionen kommt – was recht selten der Fall ist – sind wir in der Lage, diese produktiv und mit Anerkenntnis für die jeweils andere Meinung zu lösen.

Welche Rolle spielt der Fanbeauftragte im normalen Ligaalltag?

Eine vielfältige, würde ich sagen. In erster Linie geht es dabei um präventive Kommunikation. Es gibt an jedem Spieltag viele „Player“ mit teilweise unterschiedlichen, manchmal auch entgegenstehenden Interessen. Natürlich stehen die Fans an erster Stelle, wobei mein vorrangiger Arbeitsauftrag „jungen Fans“, vor allem Ultras und Ultra‘-nahen Gruppen gilt. Dann gibt es den Heim- und Gastverein, die Fan- und Sicherheitsbeauftragten. Also die, die sich innerhalb der Vereinsstrukturen bewegen. Es gibt die Fußballverbände und deren Mitarbeiter, die oftmals ein ganz eigenes Verständnis von der Bewältigung von Fußballspielen haben.

Und es gibt die ordnungs- und sicherheitspolitische Seite: kommunale Ämter, Rettungsdienste, Security und natürliche die verschiedenen polizeilichen Organisationsteile – Bundes- und Landespolizei, das Revier um die Ecke, die szenekundigen Beamten. Deren Blick auf den Fußball unterscheidet sich dahingehend von unserem, dass er natürlich ein ausschließlich sicherheitspolitischer ist. In Sicherheitsbesprechungen, die in der Regel vor jedem Spiel stattfinden, aber auch in vielen bilateralen Gesprächen versuchen Fanprojekte die Perspektive von organisierten Fans zu verdeutlichen. Oftmals üben wir dabei eine Art „Übersetzerfunktion“ aus, wir sind quasi der institutionalisierte Dialog und sensibilisieren die „Erwachseneninstitutionen“ für jugendliches Fan-Sein und deren Bedürfnisse. Das ist meistens herausfordernd, manchmal auch anstrengend, weil die unterschiedlichen „Denksysteme“ oftmals nicht kongruent sind.

Wie hat die Pandemie die Arbeit verändert? Wie sieht der gegenwärtige Arbeitsalltag aus?

Natürlich hat Covid-19 wie alle gesellschaftlichen Bereiche auch den Fußball durcheinander gewirbelt. Soziale Arbeit mit Fußballfans in Zeiten, in denen vermutlich langfristig kein Fußball gespielt, oder zumindest live gesehen wird, das klingt absurd. Zumal der direkte Draht zu den Fans, das vertraute Gespräch oder die intensive Diskussion rund um die Spieltage eben nicht stattfinden können. Auch Fußball-immanente Konflikte sind gerade kaum vorhanden. Und klassisches Streetwork funktioniert im Homeoffice auch nur bedingt: Digitalisierungshype hin oder her. Auch unsere Räumlichkeiten können wir nicht nutzen, physische Distanzierung macht soziale Interaktion insgesamt schwer, auch zwischen den Fans untereinander.

Wir versuchen daher das Beste draus zu machen und bleiben eigentlich bei unseren Kernthemen: Kommunikation ist zentral und wird mit Abstand oder eben digital geführt. Den erhöhten Beratungsbedarf z.B. zur individuellen Existenzsicherung merken wir natürlich. Und selbstverständlich tauschen wir uns zur „Lage der Welt“ aus, teilen die Sorgen und fragen uns gemeinsam, wie und wann so etwas wie „Normalität“ wieder stattfinden kann. In den Fanszenen existiert ein sehr feines Gespür, wenn es um die Einschränkung von bürgerlichen Freiheiten und Grundrechten geht. Umso interessanter und emanzipierter ist zum Beispiel der Forderung der Ultras von Chemie zu bewerten, angesichts der Pandemie und der damit verbundenen sozialen Verantwortung den Spielbetrieb auszusetzen – und das zu einem Zeitpunkt, an dem die Verbände sich noch fest an den Spielbetrieb klammerten.

Aktuell organisiert ein großes und stadtübergreifendes Netzwerk rund um die chemische Fanhilfe Unterstützungsangebote wie Einkauf, Kinderbetreuung und Alltagshilfe für Menschen mit Bedarf. Das ist beeindruckend und freut uns natürlich. Wir brauchen da Dank der guten Selbstorganisation gar nicht viel machen und vermitteln maximal den Kontakt zum Gesundheitsamt oder zu professionellen Selbsthilfeorganisationen.

Welche Wünsche gibt es für die Zukunft?

Definitiv spielt Fußball gerade eine untergeordnete Rolle, und das ist auch gut so. Meine beruflichen Wünsche daher in Worte zu fassen fällt mir angesichts der aktuellen Unübersichtlichkeit schwer. Irgendwann wäre eine Rückkehr zum Fußball mit Zuschauern natürlich schön und wichtig fürs Gemüt. Fankultur wird nach Corona sicher nicht mehr so sein wie zuvor. Im Moment zählt aber definitiv etwas anderes. Spannend empfinde ich die Debatte, die sich aktuell um das „Raumschiff Fußball“ in Zeiten der Pandemie dreht – Stichwort eigene Privilegien, ökonomische Selbstreflektion oder gesellschaftliche Solidarität. Hier haben beispielweise die meisten Ultras gegenüber dem Gros an Fußball-Funktionsträgern einen moralischen Vorsprung, der sich kaum bemessen lässt. Interessant, wer sich am Ende durchsetzt.

Fanprojekt eingeschränkt erreichbar!

Aufgrund der aktuellen Situation rund um Corona haben wir uns entschieden, alle Angebote bis auf weiteres einzustellen. Auch unsere Geschäftsstelle in der Käthe-Kollwitz-Straße wird nur sporadisch besetzt sein.

Wir sind natürlich weiterhin per Email und über Handy jederzeit erreichbar. Die Adressen und Nummern sind unter dem Menüpunkt „Team“ zu finden. Auch für eventuelle Einzelfallberatungen werden wir eine Lösung finden.

Bleibt alle solidarisch, gesund und besonnen!

Infos zum Infektionsschutz unter https://www.infektionsschutz.de/coronavirus-sars-cov-2.html