Sportbuzzer-Interview zum Lernort Stadion

Mit freundlicher Genehmigung durch Britt Schlehahn und LVZ-Sportbuzzer

Dresden, Rostock und Berlin haben vorgelegt. Künftig soll auch in Leipziger Fußballstadien gelernt werden, allerdings nicht in Sachen Ballbehandlung und Co. Das hiesige Fanprojekt betreut die Aktion „Lernort Stadion“. Wir haben uns mit Leiter Christian Kohn unterhalten.

Leipzig. Der Fußball abseits der ersten beiden Bundesligen ruht. Zuschauer müssen ohnehin draußen bleiben. Dass ein Stadionbesuch mehr sein kann, als 22 Spielern beim Kicken zuzuschauen, zeigt das Bildungsprojekt „Lernort Stadion“. Gefördert von der DFL-Stiftung und unter der Schirmherrschaft von Oliver Welke lautet das Motto „Wir bringen politische Bildung ins Fußballstadion“. Mit anderen Worten: ein Bewusstsein schaffen gegenüber demokratischen Prozessen und Diskriminierung. In Ostdeutschland gibt es bereits entsprechende Projekte in Dresden, Rostock und Berlin. In Leipzig laufen die Vorbereitungen. Was sich dahinter verbirgt, erklärt Christian Kohn, der Leiter des Leipziger Fanprojekts dem SPORTBUZZER.

Was bedeutet „Lernort Stadion“?

Christian Kohn: Ganz grundsätzlich beschreibt „Lernort Stadion“ erst einmal ein Angebot der außerschulischen, politischen Bildungsarbeit. Die Idee hinter diesem Angebot ist es, Bildung an einem ganz besonderen und nicht gerade alltäglichen Ort stattfinden zu lassen, nämlich im Fußballstadion. Es geht darum, Jugendlichen an einem Ort jenseits der Schule einen Rahmen dafür zu bieten, andere Perspektiven kennenzulernen, und zwar im doppelten Sinne: Zum einen, mal raus aus ihrem gewohnten Alltag zu kommen, zum anderen gerade durch die Faszination, die so ein Stadion und der Fußball generell ausüben eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und politischen Themen anzustoßen. Das ist das, was grob zusammengefasst das Label „Lernort Stadion“ bedeutet, was mittlerweile bundesweit an 20 Lernzentren läuft, von der DFL Stiftung gefördert wird und mit „Lernort Stadion e. V.“ auch einen eigenen Dachverband hat.

An wen richtet sich das Projekt?

In Leipzig wollen wir schwerpunktmäßig mit Schulklassen der Ober-, Förder- und Berufsschulen zusammenarbeiten. Dabei geht es uns vor allem um diejenigen Schülerinnen und Schüler, die eher negative Erfahrungen im Lernkontext gemacht haben oder sich von klassischen Konzepten der politischen Bildung nicht wirklich angesprochen fühlen. Die möchten wir gerne in Workshops mit unterschiedlichen gesellschaftlichen oder politischen Themen in Berührung bringen – und zwar so, dass sie Spaß daran haben, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Der Fußball kann dafür einen guten Zugang ermöglichen, auch wenn er gar nicht unbedingt eine zentrale Rolle spielt, sondern das jeweilige Thema und die Auseinandersetzung damit.

Welche Angebote wird es geben?

Zum Beispiel möchten wir gerne einen Workshop zu sozialen Medien veranstalten. Sie spielen ja in der Lebenswelt der Jugendlichen eine ziemlich wichtige Rolle, sind aber oftmals auch Kanäle für die Verbreitung von Gerüchten und Vorurteilen. Da lässt sich natürlich sehr gut an den Profifußball, mit all seiner schnelllebigen Medienpräsenz und seinen Transfergerüchten, anknüpfen, um mal zu schauen, wie ein verantwortungsvoller Umgang mit sozialen Medien eigentlich aussehen kann.

Oder der geplante Workshop, in dem die Schülerinnen und Schüler sich anhand der Leipziger Fußballgeschichte, in der ja gerade das ehemalige Zentralstadion eine wahnsinnig interessante Rolle spielt, mit der Entwicklung ihrer Stadt auseinandersetzen. Da wollen wir gerne gemeinsam mit den Jugendlichen kleine Geschichten rund um den Leipziger Fußball aufarbeiten, um so die verschiedenen Epochen und Gesellschaftssysteme, die ja auch Auswirkungen auf den Leipziger Fußball hatten, näher zu beleuchten. So ein ganz konkreter Zugang macht Geschichte natürlich ganz anders erfahr- und lernbar, als dies in der Schule der Fall ist.

Auf welchen Zeitraum ist das Projekt angelegt?

Bildungsarbeit muss natürlich immer langfristig angelegt sein, um tatsächlich nachhaltig zu sein. Deswegen wollen wir unser Lernzentrum gerne so aufstellen, dass sich unser Angebot auch langfristig etablieren kann. Aus diesem Grund befinden wir uns in kontinuierlichen Gesprächen mit verschiedenen Institutionen, Sponsoren und Fördermittelgebern, um dem Projekt möglichst stabile Rahmenbedingungen zu geben.

Was erhofft sich das Fanprojekt mit diesem Bildungsangebot?

Aus unserer Alltagsarbeit mit Fußballfans wissen wir, wie viel positives Potenzial in jungen Menschen schlummert, gerade dann, wenn man ihnen einen vielleicht etwas unkonventionellen Rahmen bietet, in dem sie kreativ sein und sich ausprobieren können. Mit unserem Angebot erhoffen wir uns, Jugendliche, auch diejenigen, die sich vielleicht gar nicht so sehr für Fußball interessieren, darin zu bestärken, sich mit gesellschaftlichen Themen auseinanderzusetzen, über die sie sich vielleicht noch gar keine großen Gedanken gemacht haben, obwohl sie eine große Rolle in ihrer Lebenswelt und gesellschaftlich spielen. Sie sollen in den Workshops erleben, dass ihre Meinung gefragt ist und dass es sich lohnt, sich gemeinsam mit anderen Gedanken über die Welt und ihre Rolle in dieser Welt zu machen.

Wie sah und sieht die Unterstützung der Leipziger Vereine für das Bildungsprojekt aus?

Zunächst muss man sagen, dass die Finanzierung durch die DFL Stiftung nur für Standorte und Stadien der ersten und zweiten Liga greift. Das heißt, dass die Workshops im Rahmen des Leipziger Lernorts in der Red Bull Arena stattfinden werden.

Dementsprechend sind wir von Anfang an in engem Austausch mit RB Leipzig, vor allem was die Nutzung diverser Stadionareale und Räumlichkeiten für die Workshops angeht. Aber klar, wir als Fanprojekt sind verantwortlich für den Inhalt und die Umsetzung des Lernortes. Und da wir ja die besondere Konstellation haben, als Fanprojekt für alle drei großen Leipziger Vereine (RB, BSG Chemie und Lok Leipzig) zuständig zu sein, ist es uns wichtig diesen Umstand auch im Lernzentrum abzubilden. Deswegen haben wir auch mit Lok und Chemie gesprochen, die uns ebenfalls Unterstützung in Aussicht gestellt haben, etwa im Rahmen des bereits angesprochenen Workshops zur Leipziger Fußballgeschichte, wo wir auf die jeweiligen Vereinsarchive oder die Vermittlung von „Zeitzeugen“ angewiesen sind.

Wie beeinflusst die Corona-Pandemie das Projekt?

Auch auf unser Projekt hat die Pandemie natürlich Auswirkungen. Zunächst mal ganz konkrete: Wir wollten eigentlich gerne im neuen Schuljahr mit dem Projekt starten, die weitere konzeptionelle Arbeit sollte ab Mai weiter angeschoben werden. Im März haben wir deswegen eine Stelle ausgeschrieben – die Bewerbungsgespräche mussten wir jetzt verschieben und der tatsächliche Projektstart verzögert sich natürlich auch.

Andererseits wird gerade viel darüber gesprochen, dass unsere Gesellschaft nach der Pandemie nicht mehr die gleiche sein wird, viele Selbstverständlichkeiten werden ziemlich durcheinander gewirbelt. Das hat natürlich Auswirkungen auf den Lebensalltag junger Menschen. Vielleicht kann so ein Lernort, wie wir ihn planen, seinen Teil dazu beitragen, hierzu eine Auseinandersetzung anzustoßen.